Exercises in Style

Saturday, April 28, 2007

An Invitation to Play



zur Deutschen Version


by
Rolf-Peter Wille


The idea to collect exercises in rhetorical style is not exactly a new one. Classical Greek orators had their progymnasmata as part of the pedagogical curriculum, and a prolific Renaissance writer, like Erasmus in his De Copia, gives 200 stylistic diversions of two very banal sentences. The difference of Raymond Queneau’s 20th century Exercises in Style, 1947, lies in the absence of a pedagogical intent and in the ironical distance to esthetic effect. A classical orator typically employs figures to trigger intended effects in his listeners, effects that have certain political, or judicial consequences, or at least show off the eloquence and encyclopedic erudition of the speaker. Queneau, though obviously as erudite as any Renaissance man, conducts rhetorical procedures like chemical experiments: If you fuse a banal story with certain preconceived linguistic styles, how will they react with each other? The results are sometimes predictable, sometimes refreshing, hilarious, very witty, incredibly boring, bombastic, nonsensical, bad.

Queneau’s greatest achievement, the surprising linguistic diversity, is derived from a radical axiom: Let everything be language. Mathematics, philosophy, botany, zoology, music, medicine, all are treated for what they indeed are - subjective observation and affected rendering. The combination of a banal story with 99 rhetorical prototypes does not only show the story in different lights, dispels the illusion of its assumed banality, but it also casts an ironic spotlight on those prototypes themselves. Using philosophical terms, Hellenisms or apostrophe to describe a non-incident in a public bus will actually reveal the characteristic quality of such language, a quality we will not become aware of, if we encounter it in its proper realm.

Some rhetorical figures are employed parodistically and in an absolutely literal manner without any regard to poetic propriety. The result is wildly dadaistic; reminiscent, for example, of the verbal excesses in Mozart’s "Baesle" letters or the galumphing portmanteau words in Lewis Carroll’s Jabberwocky. The demonic energy of ritual language is rediscovered. Obsessive playfulness.

Unfortunately the poetic perfection of a Jabberwocky is definitely absent in Queneau’s experiments. This becomes painfully apparent in the "Haiku"—it’s 5-7-5—but not a Haiku, and especially in the "Sonnet," a ghastly patchwork indeed, at least in the English translation. A truly artistic style can never be achieved by the mechanistic application of superficial devices. But of course, poetic perfection is not the point of these exercises. Their greatest charm lies in their playfulness and we are invited to play along. "Man plays only where he is man in the fullest sense of the word, and he is only fully man where he plays." [Schiller]

…wo er Mensch ist, …wo er spielt


to English version

Rolf-Peter Wille

Dandy im Pariser Omnibus und vor der Gare Saint-Lazare. Ein trivialer Vorfall in 99 Stilvariationen. Die Inspiration für das originelle Experiment, schreibt Raymond Queneau, 1903-76, war Bachs Kunst der Fuge.

Eine enzyklopädische Sammlung rhetorischer Stilübungen - das ist eigentlich keine sehr moderne Idee. Die Redner des klassischen Altertums hatten bereits ihre pädagogischen Progymnasmata, rhetorische "Athletik"; und Erasmus, wohl der vielseitigste Rhetoriker der Renaissance, gibt zweimal 200 stylistische Variationen eines jeweils sehr banalen Satzes in seinen rhetorischen Übungen, De copia, 1512. Das Moderne an den Queneauschen Stilübungen, 1947, ist das Fehlen einer methodisch pädagogischen Absicht, die ironische Distanz und eine radikal unbekümmerte Spielsucht. Ein klassischer Redner benutzte rhetorische Figuren, um den Affekt zu kontrollieren und den Zuhörer politisch oder gerichtlich zu beeinflussen. Oder er stellte sein Sprachtalent und seine Gelehrsamkeit zur Schau. Der Eruditio huldigt sicher auch ein Queneau, aber dessen rhetorische Manipulationen erinnern eher an Experimente aus der Elementarphysik: Er lässt seine Partikel, die banale Geschichte und den sophistizierten Sprachstil, miteinander kollidieren und beobachtet kaltblütig das Kollisionsprodukt. Und wie mannigfaltig sind die Resultate! Witzig, energisch, unsinnig, verrückt, unglaublich langweilig, schlecht.

Queneaus größte Errungenschaft, die überraschende sprachliche Vielfalt, ist das Ergebnis einer einfachen, doch sehr radikalen Einsicht: Alles ist Sprache. Mathematik, Philosophie, Botanik, Zoologie, Musik, Medizin, werden von ihm als das benutzt, was sie in ihrem eigentlichen Wesen ja sind - Sprachen. Die Projektion von 99 rhetorischen Prototypen auf eine banale Geschichte variiert nicht nur den Charakter der Geschichte, zerstört die Illusion ihrer vermeintlichen Banalität, sondern wirft auch ein ironisches Licht auf die Prototypen selbst. Wenn der Vorfall im Omnibus zum Beispiel in einem philosophisch soziologischen Jargon erzählt wird, dann enthüllt sich dieser Jargon plötzlich vor unserem erstaunten Auge.

Manche Stilmittel, etwa die Ortographie und Phonetik betreffend, erscheinen als Parodie einer zu buchstäblichen Anwendung. Das Resultat ist chaotisch, sehr dadaistisch und erinnert an die sprachlichen Verrenkungen der Mozartschen Baesle Briefe oder auch an die "galumphierenden" Kofferworte in Lewis Carrolls Jabberwocky. Die dämonische Energie einer Ritualsprache. Eine dichterische Perfektion, wie man sie im Jabberwocky findet, fehlt jedoch leider bei Queneau. Peinlich wird es sogar bei klassischen Formen, wie dem Sonett. Mag sein, dass auch dieses Flickwerk als Parodie interpretiert werden kann, aber ein perfekter Sonett-Autobus wäre sicher ein interessanteres Fahrzeug. Wirklich künstlerischer Stil lässt sich nicht durch mechanistische Manipulationen erreichen. Doch poetische Perfektion ist natürlich nicht die Devise von experimentellen Übungen. Der magische Charme dieser Exercises de style ist ihr unbändiger Spieltrieb. Wir sind eingeladen mitzuspielen. "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. " [Schiller]